Abraham Roentgen: Münzschränkchen

Original beschrieben und abgebildet in:

  • BÜTTNER/WEBER-WOELK/WILLSCHEID, 2007, Abb. 9a, b S. 141 (Bildnachweis: Hans-Rudolf Schulz, München)

Ausstellungen: Edle Möbel für höchste Kreise - Roentgens Meisterwerke für Europas Höfe, Neuwied 17. Juni 2007 bis 07. Oktober 2007

Herkunft und Datierung

Das unsignierte und bisher undokumentierte Werk von Abraham Roentgen trägt auf der Unterseite einen Klebezettel mit der Aufschrift "No 25" - möglicherweise ein Hinweis auf die Beschickung einer Frankfurter Messe. In der Objektliste zur Hamburger Lotterie ist kein derartiges Kleinmöbel aufgeführt. Es ist leider nicht bekannt, wer diesen Schränkchen als erster erworben hat, auch Besitzerwechsel sind nicht nachvollziehbar. Denkbar ist ein Erstbesitz im Umfeld des Grafen Alexander zu Wied, zeitlich im Zusammenhang mit der Gründung der wiedischen Münzstätten Dierdorf und Neuwied (1747). Heute befindet sich das Original in Privatbesitz.

Originalmaße (HBT):

Höhe 31 cm - Breite 42 cm - Tiefe 28 cm

Ausführung

Zierlicher Schubladenkasten auf schmalem Sockel mit 5 Schubläden mit nach oben abnehmender Höhe und vergoldeten Schlüsselschildern in ebenfalls abnehmender Größe. Zu beiden Seiten vergoldete Tragegriffe. Der schmale Sockel ist barock geschweift und an allen vier Seiten mit vergoldetem Messingblech beschlagen. Eine massiv gearbeitete Hohlkehlleiste bildet den Übergang vom Sockel zum Schubladenkasten. Der Kasten wird oben von einer Platte abgeschlossen, die nur an der Vorderseite leicht gerundet, sonst gerade ist. Das Profil ist ebenfalls mit vergoldetem Messingblech beschlagen.

Eine Vorlage für einen ähnlich aufgebauten Kasten findet sich bei Thomas CHIPPENDALE, 1754 als "Chests of drawers", pp. No. 85-No. LXXXVIII - Die Zeichnung zeigt einen Schubladenkasten variabler Breite in sechs Ebenen mit schlichterem Sockel, mit oder ohne Deckelfries im chinesischen Stil, ebenfalls mit abnehmender Höhe der Schubladen und ebenso querfurnierten Kanten an der Vorderseite wie das Schränkchen aus der Roentgenmanufaktur. Es ist also davon auszugehen, dass Chippendales Entwurf Abraham Roentgen wohlbekannt war und beim Münzschränkchen Pate gestanden hat. Bei den Originalmaßen handelt es sich aber um die Umsetzung des gängigen Formats in ein Objekt in der Größe einer Miniaturkommode. Chest of drawers haben üblicherweise Kommodengröße (Schubladenkommode mit weniger Höhe als Breite), aber auch Münzschränke in "ausgewachsenem" Hochschrankformat (Hundertschubladenschränke) sowie Pfeilerkommoden sind bekannt.

Das Innere ist nicht weiter beschrieben. Michael Stürmer erwähnt in seiner Kurzbeschreibung ein Eichentablett mit Vertiefungen für Münzen als besondere Ausstattung (vgl. BÜTTNER et al., 2007, S. 141) - eine Materialwahl, die aus heutiger Sicht nicht als optimal anzusehen ist.

Der Rohbau des Schubladenkastens ist aus etwa 10 mm dickem Eichenholz, die in die Seiten und das Rückteil eingenuteten Zwischenböden sind aus Nadelholz (M. Stürmer: Tanne).

Alle sichtbaren Flächen wurden in Rio-Palisander und Königsholz furniert, die Innenseiten blieben roh. Alle Seitenteile und den Deckel schmückt ein Rautenmuster aus streifigem Palisanderholz, bestehend aus im 90° Winkel zueinander gelegten rechtwinkligen Dreiecken. Zwischen den Rauten von etwa 30 mm Kantenlänge ist ein schmales Gitterwerk aus querfurnierten Königsholzstreifen in 6-7 mm Breite eingefügt. Ein breiterer, querfurnierter Randstreifen aus Königsholz umgibt auch alle Rautenfelder und die Kanten der Vorderseite. Die Schubladenvorderseiten haben ebenfalls querfurnierte Randstreifen aus diesem Holz, das Muster der Innenfelder besteht aber aus vier gespiegelten schrägfurnierten Palisanderstreifen, wie eine einzige in die Länge gezogene, "angeschnittene" Raute.

Dieses einfache Rautenmuster verwendete Abraham Roentgen häufiger in den ersten Jahren der Manufaktur in Neuwied, z.B. bei einigen Möbeln für den Kurfürsten Walderdorff (vgl. Walderdorff-Schatulle). Obwohl die Entstehungszeit um 1750 anzusetzen ist, fehlen einige typische Dekorelemente aus dieser Zeit. So wurde auf figürliche bzw. gravierte Einlagen aus Messing oder Bein sowie auf die Verwendung von Perlmutt verzichtet. Durch den Verzicht auf diese leicht überdekoriert wirkenden Elemente zeigt sich das kleine Möbel allein durch die funktionale Form und die geometrische Marketerie auch heute von schlichter Eleganz.

Kopie (2008)

Die in den Risszeichnungen eingetragenen HBT-Maße decken sich weitestgehend mit den angegebenen Originalmaßen. Diese wurden auch zur Ableitung von Teilungen für Schubladen- und Sockelhöhen herangezogen. Für die Proportionen der Marketerie wurde von ca. 30 mm Kantenlänge pro Raute ausgegangen, einem Maß, das sich auch an anderen Roentgenmöbeln mit Rautenmuster nachvollziehen läßt. Mit diesem Maß ließen sich stimmige Aufteilungen für die Flächen gewinnen (vgl. Seitenansicht und Oberseite).

Risszeichnungen

Für den Korpus sowie für Deckel und Sockel wurde altes Eichenholz in ca. 10 mm Stärke verwendet, für die 5 mm dünnen Zwischenböden Kiefer. Die Zwischenböden sind in die Grate passgenau eingeschoben und nur zur Vorderseite hin verleimt. Die Passung dieser Platten ist kritisch, da sie bei Schwund aus der hinteren Nut springen und so die Stabilität des Kastens mindern können. Ihr exakter Einbau trägt entscheidend zur Stabilität bei.

Alle Schlösser sind eingelassen, die beiden unteren erhielten Zuhaltungen, die restlichen sind über ein- und denselben Schlüssel zu öffnen. Da die dünnen Weichholz-Zwischenböden den Riegeln der Schlösser wenig Halt geben, wurde das vordere Stück der Zwischenböden in Hartholz ausgeführt. Geringe Schublagenhöhen und dünne Zwischenböden machten die Anfertigung von Schlössern mit entsprechend wenig Riegelhub notwendig.

Die Schubladenvorderstücke sind aus lange abgelagertem Kirschholz. Da Zeder ab 1750 als aromatisches Holz für die Schubladeninnenausstattung verwendet wird, wurde dieses Holz für die übrigen Schubladenteile gewählt. Die Verwendung von gerbstoffreichem Holz wie Eiche ist bei der Aufbewahrung von Münzen unangebracht.

Die Schubladen wurden nach einer für die Werkstatt um 1750 typischen Ausführung gefertigt: Halbverdeckte Zinkung mit Wechsel spitzer und stumpfer Winkel an den Zinken am Vorderstück, Nut und Feder als Verbindung von Böden und Seiten.

Eine Verkleidung des stark modellierten Sockels durch dünnes Messingblech mißlang aus mehreren Gründen. Es war besonders schwierig, das geprägte Messingblech formstabil und dauerhaft auf Eichenholzprofil zu verkleben. Die Verklebungen fallen nicht vollflächig aus, drücken sich durch oder lösen sich nach Aushärtung des Klebers. Die erhältlichen Messingdünnblechqualitäten sind zu spröde zum Formen und auch durch Glühen nur schwer in einen ausreichend geschmeidigen Zustand zu bringen. Die Sockelvergoldung wurde aus diesem Grund als Ölvergoldung auf Weißgrund durchgeführt und mattglänzend auspoliert. Die Messingschlüsselschilder wuden lediglich hochglanzpoliert.

Bei der Anfertigung der Kopie wurde deutlich, dass die Umsetzung eines größerformatigen Möbeltyps in eine Miniatur mit analogen Proportionen es erforderte, bis an die Grenzen des Vertretbaren zu gehen. Die mit großkalibrigen Münzen beladen schwergewichtigen Schubladen laufen auf millimeterdünnen Böden, die Stabilität des Kastens ist deutlich herabgesetzt durch die mehrfache Gratung bis auf eine Reststärke von max. 6-7 mm. Auf den Einbau von Tragegriffen wurde deshalb verzichtet. Bei der geringen Restdicke des Seitenholzes lassen sich die Befestigungsmuttern nicht sicher für eine größere Last einlassen. Der Kasten ist beladen am Sockel sicher zu tragen.

Die Steifigkeit des Schubladenkastens ist dennoch erstaunlich. Die Flächen sind konstruktiv (durch die Zwischenböden) so abgesperrt, dass sie sich bei der einseitiger Furnierung nicht sichtbar verziehen. Möglicherweise baut die ganz aus Kleinteilen zusammengesetzte Parkettierung auch nicht ausreichend Zug auf, um die Platten nach außen zu wölben. Beim Original zeigt sich in der Deckelplatte eine gesprungene Leimung des Blindholzes, beide Teile wölben sich nach außen. Um dies zu vermeiden, wurden die Stücke nicht einfach angestoßen, sondern mit einem eingeleimten Federstreifen versehen. Die Teile für die Deckelplatte sind aus stehenden Jahresringen geschnitten.

Die Oberfläche wurde nach Ölgrundierung und etlichen Bimsfüllungen mit reinem Schellack handpoliert.